Dr. Hans Asperger ein Teil der mörderischen NS-Kinder- Maschinerie?

Die Diagnose „Asperger-Syndrom“ ist zurück zu führen auf den Wiener Arzt „Hans Asperger, der zur Zeit des Nationalsozialismus praktizierte“. Er war sehr geachtet und lange ging man davon aus, dass er ein kritisches Verhältnis zur Hitler-Diktatur hatte. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass er verwoben in die Praktiken der NS-Zeit und in die Kinder-Euthanasie verstrickt war.

Der Medizinhistoriker Dr. Herwig Czech und eine ehemalige Patientin Hans Aspergers „Waltraud Häupl“ sind der Frage nach Aspergers Rolle während des Nationalsozialismus nachgegangen. Waltraud Häupl wurde von Asperger unter die Höhensonne geschickt, um nicht krank zu werden. Sie studierte später in Wien und wurde Lehrerin. Ihre kleinere Schwester Annemarie ist der Kinder-Euthanasie zum Opfer gefallen. Nachdem Waltraud Häupl Ende 90er Jahre eine Fernsehsendung über den Euthanasie-Skandal von Kinder sah, die nach Wien „Am Spiegelgrund“ verschickt wurden, begann sie zu recherchieren. Der Tod der Schwester trieb sie um und sie wollte erfahren, was sich damals dort abgespielt hat. Ausführlich studiert sie die Krankenakten und 789 Todesfälle von Kindern. Mehrere Bücher erscheinen von ihr in diesem Zusammenhang.

Hans Aspergers Vergangenheit in einem anderen Licht

Dr. Herwig Czech schätzt als Medizinhistoriker ihre Recherchen und legte in diesem Zusammenhang eine Arbeit vor. Er untersuchte speziell die Rolle Hans Aspergers in Bezug auf die NS-Euthanasie. Welche Rolle hat er genau gespielt?

Asperger startet seine Karriere im Jahr 1935. Jahrzehntelang leitete er eine Abteilung der Kinderklinik in Wien. Die Erkenntnisse Czechs liefern ein völlig anderes Bild von Asperger, als das bisher dargestellte. Er sichtete viele Unterlagen aus Archiven und brachte Informationen zu Tage, die Asperger als anderen Menschen zeichnen, als bisher angenommen. Bis dato nahm man an, Hans Asperger habe sich aus dem grausamen Geschehen der NS-Euthanasie rausgehalten und sei sogar eine Art Widerstandskämpfer gewesen. Man vermutete sogar, dass er ihm vertraute Kinder vor den Gräueltaten der NS-Ärzte rettete. Heute weiß man, dass diese Annehme falsch war ist, denn das Gegenteil ist der Fall:

Dr. Hans Asperger war Teil der NS-Kinder-Euthanasie und hat den Nazis sogar Kinder „zugespielt“. Die wichtigste Quelle Czechs bilden bei der Recherche die Akten aus Aspergers ehemaligen Abteilung der Kinderklinik. Lange Zeit galten diese Unterlagen als offiziell verschollen. Sie seien angeblich bei einem Bombenangriff vernichtet worden. Tatsächlich wurden sie jedoch im Stadt- und Landesarchiv der Stadt Wien aufbewahrt. Dort können sie eingesehen werden.

Hans Aspergers Rolle bei der Kinder-Euthanasie

Czech las in den Akten, dass der Kinderarzt Asperger die damals dreieinhalbjährige Hertha Schreiber nach Wien in die Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ überwies. Er attestierte dem Mädchen eine massive Persönlichkeitsstörung, fehlende motorische Fähigkeiten und Idiotie. Asperger bescheinigte die Notwendigkeit zur dauerhaften Unterbringung in der Anstalt. Die Belastung der Mutter durch das Kind sei nicht zumutbar, da sie die Fürsorge für weitere Kinder zu tragen habe. Dem Bericht konnte deutlich entnommen werden, dass Hertha Schreiber nicht mehr nach Hause zurückkehren würde. Die offizielle Version ihrer Todesursache nur zwei Monate nach der Einlieferung,  lautet „Lungenentzündung“.

Der Medizinhistoriker kommt zwar zu dem Schluss, dass Asperger keine zentrale Figur der NS-Kindereuthanasie war, denn er hielt sich zu Gunsten seiner eigenen Karriere weitestgehend raus. Er war kein Mitglied der Nationalsozialistischen Partei und sah sich selbst nicht als Nazi. Allerdings bewegte er sich nachweislich seit den 1930er Jahren in diesem nationalsozialistischen Milieu als zuverlässiger Gefährte und Mitläufer. Er wusste um die Taten am Spiegelgrund und war in sie verwoben. Es war ihm bekannt, dass dort Kinder getötet werden. Teilweise wussten auch die Eltern von behinderten Kindern, dass deren Kinder dort ermordet wurden. Eltern, die mit ihrem behinderten Kind überfordert waren, sollen sogar auf Ärzte am Spiegelgrund zugekommen sein sollen und um „Erlösung des Kindes“ gebeten haben. Der Medizinhistoriker Professor Volker Roelcke von der Gießener Justus-Liebig-Universität kam zu dem Ergebnis, dass es völlig ausgeschlossen ist, dass Dr. Hans Asperger nichts von den mörderischen Praktiken der Kinderanstalt „Am Mariengrund“ wusste. Roelcke arbeitete auch mit Dr. Czech im Rahmen dieser Nachforschungen eng zusammen. Er sagt: „ Es gibt noch eine weitere Episode, die meiner Ansicht nach sehr schwer wiegt. Und zwar war er als Gutachter der Stadt Wien für die Belange der Heilpädagogik, Teil einer Gutachter-Kommission. Und diese Kommission, das waren sieben Personen, und Hans Asperger war derjenige Experte mit dem heilpädagogischen Expertenwissen, mit der heilpädagogischen Autorität. Diese Kommission hat sämtliche Patienten einer Kinderabteilung einer psychiatrischen Anstalt durchsiebt, durch begutachtet mit dem explizierten Ziel, die Kinder in Kategorien einzuteilen. Wer sozusagen noch in die Schule gehen könnte, wen man in einer Anstalt noch fördern konnte und wer eben als hoffnungsloser Fall, als bildungsunfähig, der Kinder-Euthanasie zuzuführen wäre.“

Nach dem Ende des NS-Regimes praktiziert Hans Asperger uneingeschränkt weiter

Die Kommission, zu der Hans Asperger ja nachweislich gehörte, sortierte 35 Kinder aus. Diese Fakten werden durch die Nachforschungen definitiv belegt. Der Medizinhistoriker kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass renommierte Wissenschaftler und angesehene Ärzte ganz offensichtlich bereit waren, die ihnen anvertrauten Kinder in Kategorien einzuteilen und letztendlich auch über Leben und Tod zu entscheiden. Nach deren Tod, werden die Kinderhirne präpariert und zu Zwecken der Forschung bewahrt. Die Wissenschaftler erhofften sich mithilfe dieser Vorgehensweise, aufschlussreiche Erkenntnisse über die Missbildungen im zentralen Nervensystem der Kinder zu gewinnen. An diesen Präparaten wurde auch nach dem Jahr 1945 geforscht und die eigentliche wissenschaftliche Auswertung fing erst in den 1950er Jahren statt. Es kommt noch schlimmer, denn die wissenschaftlichen Dokumentationen und Publikationen dauern bis in die 1980er Jahre an. Nachweislich wurden mindestens dreißig Abhandlungen eruiert, die auf die kindlichen Opfer vom Spiegelgrund zurückgehen.

Hans Asperger geht unbeschadet und ungestraft aus dieser Zeit hervor und setzt seine Karriere unbehelligt fort. In den Jahren von 1957 bis 1962 ist er Leiter der Kinderklinik in Innsbruck und im Jahr 1957 wird er sogar Professor der Pädiatrie ebenfalls in Innsbruck. Ab 1962 auch in der Stadt Wien. Im Jahr 1964 erhält er die Berufung zum Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für Heilpädagogik. Der Medizinhistoriker Herwig Czech beurteilt Aspergers Theorien kritisch.

Er sei zwar nie gänzlich in die extremistische NS-Rassenhygiene abgerutscht, vertrete aber nach Auffassung Czechs eine sehr biologistische Sichtweise. Beispielsweise glaubte Asperger, dass es eine Art biologisches Schicksal gebe. Sinngemäß also den geborenen Verbrecher, Vergewaltiger und Mörder. Auch auf der anderen Seite, nämlich die der Opfer war er der Überzeugung, dass es stets eine Art genetische Bereitschaft gegeben haben muss, zum Opfer zu werden. Eine angeborene Neigung sozusagen.